Ich schreibe diesen Artikel in meinem Zimmer in einer psychosomatischen Rehaklinik im schönen Breisgau. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass diese Klinik nur Einzelzimmer hat und dass sie verhältnismäßig klein ist. Diesen Aufenthalt habe ich jahrelang vor mir hergeschoben. Gebraucht hätte ich ihn schon längst, habe ihn mir aber immer wieder mit Verweis auf Charlie aus dem Kopf geschlagen. Der Verweis lautete in etwa so: "Ich weiß nicht, wohin mit ihm während der Reha und überhaupt habe ich nicht das Geld, um seine Betreuung zu finanzieren." Nun, wo kein Wille ist, da ist auch kein Weg. Denn als absehbar wurde, dass es ohne Reha nicht weitergehen würde, war eine kompetente Betreuung schnell gefunden. Und auch die Finanzierung war plötzlich kein Problem mehr, dank der unglaublichen Großzügigkeit meiner Freund*innen und meiner Familie.
Charlie und ich haben eine sehr enge Beziehung. Deshalb war es für mich auch sehr schwer, als ich ihn vor über zwei Wochen bei seiner Betreuerin zurückließ. Ich weiß, dass er dort sehr gut aufgehoben ist, und doch fühlte ich mich beim Wegfahren so, als ob ich einen Teil von mir selbst zurückgelassen hätte. Entsprechend durch den Wind war ich, als ich dann endlich in der Klinik ankam. Doch die Klinik scheint darauf eingestellt zu sein, überforderte und leicht verwirrte Menschen in gute Bahnen zu lenken. Jedenfalls half mir das sehr gut strukturierte Aufnahmeprocedere mit Gesprächen und Vorträgen sehr, mich zu orientieren und wieder etwas Boden unter den Füßen zu gewinnen. Was mir in der Klinik vom ersten Moment auffiel, ist, dass alle, Mitarbeiter*innen ebenso wie Patient*innen, sehr freundlich sind und sich aktiv grüßen, wenn wir uns in den Gängen begegnen. Das mag eine Kleinigkeit sein. Aber es ist eine Kleinigkeit mit großer Wirkung.
Charlie geht es gut ohne mich.
Dennoch fühlte ich mich zunächst ziemlich überfordert. Bei den Mahlzeiten aß ich alleine, während des Outdoor Trainings lief ich alleine vorneweg und in den ersten Gruppentherapiestunden schwieg ich oder weinte leise vor mich hin. Es hat fast zwei Wochen gedauert, bis ich anfing, mich langsam zu öffnen. Mich beim Abendessen zu einer Mitpatientin, die mir aus der Gruppe bekannt war, hinzusetzen, war eine große Überwindung. Aber wie das mit Überwindungen so ist, wird es nach dem ersten Mal leichter. Charlie fehlte mir schrecklich. Jedes Mal, wenn ich mich in meinem Zimmer bewegte oder mich nachts im Bett umdrehte, erwartete ich, dass sich irgendwo im Zimmer ein Hundekopf hebt, der schaut, was ich mache. Aber es war keiner da. Es fehlte etwas.
Vergangenen Samstag nun saß ich auf meinem Bett, hörte ein Hörbuch und häkelte. Beides sind Dinge, die mir immer gut tun, weil ich dabei meinen Kopf in den Leerlauf schicken kann. Es ist eine sehr pragmatische Art von Achtsamkeitstraining. Und trotzdem brodelte es in mir. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, zog mich an und ging raus, um ein bis zwei Stunden durch den angrenzenden Wald zu laufen. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, beruhigt mich Gehen, ob mit oder ohne Hund, nicht. Im Gegenteil, beim Gehen kommt mein Gedankenkarussell erst richtig in Fahrt. Und während es so in meinem Kopf kreiste, wurden mir ein paar Dinge klar.
Zum einen, wie isoliert ich mich tatsächlich fühle. Ich bin vor anderthalb Jahren in ein neues Bundesland umgezogen und habe ein paar Klientinnen, die auf dem besten Wege sind, zu Freundinnen zu werden. Aber im großen Ganzen habe ich sehr wenige Kontakte. Ich habe kein Problem damit, alleine zu sein. Ganz im Gegenteil brauche ich viel Raum, um mich selbst wahrnehmen zu können. Aber Einsamkeit, das ist etwas ganz anderes. Zum anderen wurde mir klar, dass ich diese Einsamkeit schon sehr lange gespürt haben muss, dass die Sorge für und um Charlie sie aber bis jetzt zugedeckt hatte. Und die dritte Erkenntnis war, dass ein Hund, wundervolles Wesen, das er ist, kein
Ersatz für menschliche Beziehungen ist.
Manchmal brauchen innere Veränderung auch Veränderungen
im Außen. Ich habe mir die Haare schneiden lassen.
Erkenntnis ist der erste Schritt im Prozess der Veränderung. Und die Gefühle, die sie auslösen, brauchen Raum. Daher bin ich unendlich dankbar, hier sowohl die Zeit als auch den Raum für mich zu haben. Diese Klinik, wie überhaupt jede Therapie, ist eine Spielwiese, auf der wir uns ausprobieren können. Wir sitzen hier alle im selben Boot. Unsere Themen ähneln sich oft. Und wir begleiten einander mit Mitgefühl. Wir erzählen uns von einander, finden Parallelen und Unterschiede. Immer aber sind wir füreinander da. Das ist für mich nicht ganz einfach. Ich bin gut im Geben. Das Annehmen fällt mir wesentlich schwerer. Aber ich habe noch einige Wochen Zeit, um auch in dieser Hinsicht erste, vorsichtige Schritte zu machen.
Dies war der erste Blog-Artikel über meine Erfahrungen in der psychosomatischen Reha.
Ich werde Euch weiter auf dem Laufenden halten. Einstweilen passt gut auf Euch auf und genießt die Vorweihnachtszeit.
Alles Liebe
Eure Biggi