Diesen Satz lese ich immer wieder in Selbstdarstellungen von Hundetrainer*innen. Und ich bleibe jedes Mal an ihm hängen, weil ich der Auffassung bin, dass das gar nicht geht, so schön es auch wäre.
In diesem Artikel möchte ich darlegen, warum dieser Anspruch illusorisch ist und sensibilisieren dafür, wie selbstverständlich und unbewusst wir tagtäglich dagegen verstoßen. Außerdem möchte ich Trainer*innen den Druck nehmen, dem „positiven“ Ideal auf Biegen und Brechen entsprechen zu müssen
„Positiv“ ist ein Wort mit vielen Bedeutungen und noch mehr Zuschreibungen. Im umgangssprachlichen Sinn wird es gleichbedeutend mit „gut“ oder „schön“ verwendet. Im mathematischen Sinn meint es, dass etwas hinzugefügt wird. Im Hundetraining haben wir es mit beiden Bedeutungen zu tun.
Aber „Positiv“ ist auch ein Kampfbegriff in der ideologischen Auseinandersetzung innerhalb der Hundeszene. Hier steht er für einen Trainingsansatz, der sein Augenmerk auf das erwünschte Verhalten des Hundes legt, Verhaltensveränderung ausschließlich über das Mittel der positiven Verstärkung bewirken möchte und in dem Verständnis, Bedürfnisorientierung und das Beurteilen von Situationen aus der Perspektive des Hundes wichtig sind.
Alles gut und wünschenswert. Und doch wird Positivität so zu einer Zwangsjacke, die Halter*innen und Trainer*innen gleichermaßen einschränkt.
Eine Leine ist auch im positiven Training eine Begrenzung.
So sehr wir uns auch bemühen mögen, setzen wir Hunde ständig aversiv wirkenden Eindrücken aus und schränken ihre Selbstbestimmung ein. Wir können gar nicht anders. Hier ein paar Beispiele.
Eine Leine, egal wie lang, ist eine willkürliche Beschneidung der hundlichen Bewegungsfreiheit. Auch mit einem über positive Verstärkung aufgebauten „Sitz“ am Straßenrand gebe ich dem Hund einen Befehl und erwarte, dass er ihm Folge leistet. Und das Training eines inkompatiblen Alternativverhaltens für eine stürmische Begrüßung an der Tür ignoriert das soziale Bedürfnis des Hundes nach Kontaktaufnahme.
Ich mag den Hund bei Nichtbefolgen vielleicht nicht strafen oder ihr ursprüngliches Bedürfnis sogar als Verstärker verwenden. Dennoch erwarte ich, dass der Hund zunächst meinen Bedürfnissen Vorrang vor ihren einräumt und meinen Anordnungen Folge leistet. Und das jeden Tag unzählige Male. Für mich klingt das nicht besonders positiv
Locken ist eine beliebte Methode der Verhaltenserzeugung im positiven Training. Dem Hund wird eine Belohnung in Aussicht gestellt, mit der sie dazu gebracht werden soll, ein gewünschtes Verhalten zu zeigen.
Aber was, wenn das erwünschte Verhalten dem Hund Schmerzen oder Angst macht ? Was wenn die in Aussicht gestellte Belohnung so mächtig ist, dass der Hund über seine eigentlichen Bedürfnisse hinweg geht ? Auf diese Weise erzeugen wir möglicherweise das genaue Gegenteil des erwünschten Verhaltens, nämlich Meideverhalten. Und nicht nur das. An dieser Stelle kann es auch richtig gefährlich werden. Dann nämlich, wenn der Hund in eine Situation gelockt wird, für die sie keine Bewältigungsstrategien hat. Vielleicht findet sie sich viel zu nah an einem Trigger wieder und reagiert je nach Konfliktstrategie mit kopfloser Flucht oder mit Angriff.
Locken als Trainingsmethode kann Hunde in Konflikte bringen.
Die „Reine Lehre“ vom ausschließlich positiven Training mit Hunden ist Illusion. Aversive Reize treten überall ganz natürlich auf. Und deshalb ist auch die negative Verstärkung im Hundealltag etwas ganz natürliches. Und sogar das Auftreten von Strafreizen können wir gar nicht verhindern. Ebenso wie Belohnung entsteht auch Strafe in der Wahrnehmung der Empfängerin. Zum Beispiel können für den einen Hund streichelnde Liebesbekundungen ihres Menschen in aller Öffentlichkeit das Schönste auf Erden sein. Für einen anderen Hund ist es etwas, das für ihn außerordentlich unangenehm ist.
Worum es letztlich geht, ist Individualität. Wenn wir unser eigenes Verhalten und das unserer Hunde aufmerksam beobachten und sehen lernen, wie wir uns gegenseitig so beeinflussen, können wir Wohlbefinden und Selbstbestimmung auf beiden Seiten fördern. Mir leistet hierbei das LIMA Prinzip gute Dienste. Es steht für „least intrusive, minimally aversive“ und stellt eine ethische Hierarchie von Methoden der Verhaltensbeeinflussung dar. LIMA zufolge muss immer die Methode angewandt werden, die am wenigsten in die Selbstbestimmung des Individuums eingreift und trotzdem wirksam ist. Und gerade auf den unteren Stufen dieser Hierarchie spielt das konkrete Beeinflussen von Verhalten überhaupt keine Rolle. Hier geht es ausschließlich darum, eine Basis zu schaffen, von der aus das lernende Lebewesen gar nicht anders kann, als sich „richtig“ zu verhalten.
Wenn Du mehr über LIMA wissen möchtest, findest Du in diesem Instagram Post eine kurze Zusammenfassung. Hier findest Du eine Abbildung, die von Prof. Dr. Susan Friedman entwickelt wurde, um das LIMA Prinzip zu verdeutlichen. Und Hier findest Du ein ganzes Webinar mit Prof. Friedman, in dem sie das Prinzip detailliert erklärt und mit vielen Praxisbeispielen unterfüttert.
Wie immer bin ich auf Deine Kommentare gespannt.
Deine Biggi
Bildnachweis;
YamaBSM auf pixabay
Pezibear auf pixabay
Mylene2401auf pixabay