Rehabilitation bedeutet wörtlich übersetzt „Wiederherstellung“. Im übertragenen Sinne ist eine Rehabilitation die Wiedereingliederung erkrankter Menschen ins Arbeitsleben. Aber Voraussetzung für diese Wiedereingliederung ist zunächst die Klärung der Bedingungen, die die Leistungsfähigkeit einschränken. Und diese Klärung geht einher mit einer genauen Betrachtung nicht nur der äußeren Umstände, sondern auch der Prozesse, die im Inneren ablaufen. Insofern bin ich für die Chance, die mir diese Reha bietet, sehr dankbar, und es erscheint es mir sehr passend, dass sie ausgerechnet zum Jahresende stattfindet.
Die Rehaklinik liegt in der Nähe des Schwarzwalds.
Meine Befürchtungen im Vorfeld der Reha
Der Aspekt der Wiedereingliederung ins Arbeitsleben hat mir im Vorfeld der Reha richtiggehend Angst gemacht. Ich liebe meinen Beruf und bin mit Leib und Seele Trainerin und Verhaltensberaterin für Mensch und Hund. Nur haben mich die Bedingungen meiner letzten Festanstellung als Trainerin und in der Folge meine Bemühungen, selbstständig etwas auf die Beine zu stellen, so krank gemacht, dass irgendwann nichts mehr ging. Daher ist die Angst davor, dass ich mich in absehbarer Zeit mit Arbeitsbedingungen konfrontiert sehen könnte, die ich noch nicht wieder bewältigen kann, noch sehr groß. Im Übrigen geht das den allermeisten meiner Mitpatient*innen so. Mir ist natürlich bewusst, dass diese Denkweise dem depressiven Opfer-Denken entstammt. Aber der Weg aus dem Treibsand der Depression ist eben nicht ganz so einfach und Denkstrukturen zu verändern nicht leicht.
Eine Rehabilitation ist zeitlich begrenzt. Ich hatte ursprünglich fünf Wochen bewilligt bekommen und gehe jetzt in eine zweiwöchige Verlängerung. Auf den ersten Blick mag das lang erscheinen, aber körperliche und erst recht psychische Prozesse brauchen ihre eigene Zeit, um sich an Veränderungen anzupassen. Insofern hat es mich nicht überrascht, dass die Therapie bereits am Anreisetag begann. Dennoch ist es wichtig, bei aller zeitlichen Begrenztheit die Balance zwischen Zielorientierung und Behutsamkeit zu wahren. Ich fühlte mich in der Therapie hier nicht immer gesehen und manchmal auch komplett überfordert. Aber immer fand ich Möglichkeiten, meine Wahrnehmungen zurückzumelden und ein behutsameres Vorgehen einzufordern. Schlussendlich bin ich dankbar für die Herausforderungen, vor die ich hier gestellt wurde. Denn sie haben mir gezeigt, dass ich doch viel mehr Kraft habe, als ich lange Zeit dachte. Außerdem empfinde ich die Impulse, die ich erhalten habe, als eine Art Kickstart, deren Energie ich mit nachhause nehme.
Lange Spaziergänge im Wald tun mir gut - auch wenn mir Charlie sehr fehlt.
Der erste Vortrag, den ich bereits an meinem Anreisetag hörte, hatte das Therapiekonzept zum Thema und wurde vom Chefarzt gehalten. Seine Worte haben mich überrascht. Die Klinik arbeitet in der Psychotherapie stark an den frühen Bindungserfahrungen orientiert. Trotz viel Therapieerfahrung habe ich es noch nicht erlebt, dass diese frühe Lebenserfahrungen so stark ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. Jedenfalls hatte ich so von Anbeginn das Gefühl, am richtigen Ort zu sein.
Der Aufenthalt hat in mir einen grundlegenden Shift bewirkt. Ich habe nie wirklich geglaubt, dass ich okay bin, so, wie ich bin. Ich fühlte mich weder liebenswert noch jemals gut genug. Jetzt scheint es so zu sein, dass die Erkenntnis, dass ich tatsächlich genug bin, dass ich geliebt und angenommen werde, tatsächlich in meinem Kopf und meinem Herz angekommen ist. So ganz traue ich dem Frieden noch nicht. Aber ich beginne, mir selbst mit viel mehr Wohlwollen und Mitgefühl zu begegnen. Ich beginne, Biggis unterschiedlichen Alters in mir wahrzunehmen, ihnen einen Platz am Tisch meines Lebens einzuräumen und auf ihre Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen.
Die Unklarheit eines dunstigen Wintermorgens hat ihre eigenen Schönheit.
Wie gehe ich aus der Reha ins neue Jahr ?
Alte Muster sind mächtig und wir sind Gewohnheitstiere. Neue Wege zu gehen, ist anstrengend und braucht Mut. Aber mit dieser neu gewonnenen Verbindung zu einigen meiner lang vernachlässigten Anteile entstehen auch neue Gefühle. Neugier, zum Beispiel, auf Dinge jenseits aller Planung und Kontrolle. Auch Offenheit gegenüber Wegen, die ich jetzt noch nicht sehen kann. Die energiegeladene Lebensfreude einer Fünfjährigen. Und die Leichtigkeit, die sich aus dem Bewusstsein ergibt, dass ich jeden Tag Entscheidungen treffen kann und darf, die für mich gut sind.
Und doch noch ein paar Neujahrsvorsätze
Ich lasse das Müssen und Wollen los. Ich lasse die Unbedingtheit hinter mir. Ich lege die Scheuklappen der Planung und Kontrolle ab. Ich öffne mich den Möglichkeiten des Lebens. Ich übe das regelmäßige Einchecken bei mir selbst. Ich bin dankbar für alles, was mein Leben ausmacht. Ich freue mich an allem, das mich das Leben mit Leichtigkeit und Kreativität erfahren lässt.
Ich bin frei, weil ich mich frei denke. Meine Gedanken schaffen meine Realität. Und meine Gedanken sind dabei, sich ganz weit zu öffnen.
Ich habe noch zehn Tage hier und mindestens ebenso viele Themen, zu denen ich Artikel schreiben könnte. Aber gemäß meinem Vorhaben, mein Leben viel bedürfnisorientierter zu leben, lass ich mich überraschen, wann ich das nächste Mal Lust darauf habe, einen Artikel zu schreiben
Bis dahin alles Liebe
Biggi