Dopamin und Flow
Warum ist das so ? Weil sich Verstehen einstellt. Ich verbinde die Punkte oder finde das fehlende Teil im Puzzle. Zusammenhänge zu erkennen, schafft ein Gefühl von Kontrolle.
Aber warum fühlt sich das körperlich gut an ? Weil mit einem Aha-Moment eine erhöhte Dopamin-Ausschüttung einhergeht. Dopamin ist ein Neurotransmitter, der wie Serotonin Teil des Belohnungssystem des Nervensystems ist. Im Unterschied zu Serotonin hält die Wirkung von Dopamin jedoch länger an. Dopamin liegt dem Phänomen des Flow zugrunde, in dem Motivation und Antrieb deutlich gesteigert sind. Es entsteht ein selbst-verstärkender Prozess. Beim Hund wird Dopamin übrigens beim Jagen ausgeschüttet. Aber das sei nur am Rande erwähnt.
Geschichten und Verschwörungstheorien
Wie beim Puzzeln oder bei meinen Spaziergängen funktioniert dieses Prinzip auch bei der Interpretation der Welt. Die amerikanische Sozialwissenschaftlerin Brené Brown nennt Menschen „story telling animals“ oder manchmal auch „meaning making machines”. In einer komplexen Welt sind wir ständig auf der Suche nach Mustern, Zusammenhängen und Sinnhaftigkeit, um mit relativer Sicherheit vorhersagen zu können, was als nächstes passieren wird. So entsteht Erwartungssicherheit.
Das Problem dabei ist, dass die Muster, die wir erkennen und die Geschichten, die wir daraus stricken, nicht wahr sein müssen. Sie müssen nur in unserem Kopf Sinn ergeben, um einen Dopamin-Kick auszulösen. Deshalb sind Verschwörungstheorien auch so verführerisch. Sie sind typischerweise einfach gehalten, unterscheiden Nicht-Eingeweihte und Eingeweihte und schaffen eine hermetisch geschlossenen Interpretations-Blase, innerhalb derer alle Informationen passgenau ineinandergreifen. Neue Informationen werden entweder verworfen oder so verbogen, dass sie ins System passen. So entsteht eine sich selbst verstärkende, Dopamin-gestützte Spirale.
„Story-Telling Animals“
Mit den Geschichten, die wir uns über uns selbst erzählen, verhält es sich ähnlich. Auch sie müssen nicht wahr sein, um Macht über uns zu haben. Und sie müssen paradoxerweise noch nicht einmal schön sein.
Die Wurzeln solcher Geschichten reichen weit zurück in die Zeiten, in denen wir weder die Fähigkeit noch die Sprache hatten, Gefühle in Worte zu fassen. Als kleine Kinder erleben wir die Welt unmittelbar. Aber auch dann schon versuchen wir, unser Erleben in Geschichten zu kleiden. Das geschieht automatisch, wir werden als „story telling animals“ geboren. Wir setzen Ereignisse in Bezug zueinander, um die Welt zu verstehen. Da uns aber ein Großteil an relevanter Information fehlt, kann es zu fatalen Fehlannahmen kommen. Wenn sich beispielsweise ein kleines Kind die Schuld dafür gibt, dass sich die Eltern streiten oder gar ein Elternteil die Familie verlässt, entstehen Selbstbilder und Grundüberzeugungen, die diese Person ein Leben lang begleiten und ihr Handeln bestimmen.
Mit einer alten Geschichte baust Du Dir kein neues Leben
Wir alle tragen solch alte Geschichten mit uns herum. Vielleicht sind sie nicht so dramatisch wie im oben beschriebenen Beispiel. Und doch bestimmt die Wahrnehmung unseres fünfjährigen Bewusstseins oft das Verhalten unseres erwachsenen Selbst.
Wenn wir daran etwas verändern wollen, braucht es den Mut, „den Keller aufzuräumen“, wie es Terri Cole in ihrem Buch „Boundary Boss“ beschreibt. Und selbst das tun wir meist erst dann, wenn der Leidensdruck entsprechend groß geworden ist. Denn „the devil you know“ scheint immer noch besser zu sein, als das, was uns jenseits der Komfortzone des vertrauten Leidens erwartet.
Alternative Überzeugungen können nur entstehen, wenn wir uns den alten Geschichten stellen und sie aus einer neuen, erwachsenen Perspektive betrachten. Das erfordert Mut, es ist anstrengend und vor allem ist ein Prozess, der Zeit braucht. Auch macht es Sinn, sich dafür Begleitung in Person einer Therapeutin oder einer Coachin zu holen. Aber der Prozess wird den Boden bereiten, auf dem neue, glaubhafte, erwachsene Geschichten wachsen können.
Hunde sind geborene Geschichtenerzähler*innen
Auch Hunde erzählen sich Geschichten. Sie tun dies vielleicht nicht auf dem kognitiven Niveau von Menschen. Aber sie sind Meister darin, Zusammenhänge herzustellen und Muster zu erkennen. Wir nutzen diese Fähigkeit tagtäglich im Training mit ihnen.
Die Haken dabei sind dieselben wie bei uns Menschen. Zum einen lernen auch Hunde 24/7 absichtlich und unabsichtlich. Auch sie sind „meaning making machines“, die Erwartungssicherheit brauchen, um sich in der Welt zurecht zu finden. Und auch für sie gilt, dass die Geschichten, die ihnen den Dopamin-Kick verschaffen, weder wahr noch schön sein müssen. Ein Hund, der gelernt hat, dass Kinder doof sind, weil es in Gegenwart von Kindern einmal sehr laut gescheppert und er sich erschrocken hat, ist sich sicher, dass die Kinder die Ursache des unangenehmen Gefühls sind. Das ist nicht schön, die Geschichte ist nicht „wahr“, aber sie macht Sinn für den Hund.
Als Trainer*innen gehen wir an eine solche Situation klassischerweise mit einer Gegenkonditionierung heran. Schrittweise versuchen wir, dem Hund den furchteinflößenden Reiz zunächst als neutral und später sogar als positiv zu vermitteln. Die Grundannahme ist, dass sich die emotionale Bewertung des Reizes durch den Hund damit automatisch ändert. Viele Versuche der Gegenkonditionierung scheitern jedoch oder sie bleiben an einem bestimmten Punkt stecken, weil außer Acht gelassen wird, wie tief die Überzeugung Kind = Schreck im Nervensystem des Hundes verankert ist.
Ich bin von der Notwendigkeit überzeugt, die Situation des Hundes als viel komplexer zu begreifen. Die Gegenkonditionierung hat im Vorgehen sicherlich ihren Platz, aber es geht nicht alleine um den auslösenden Reiz. Vielmehr geht es darum, dem Hund die Macht zu geben, seine eigene Geschichte neu zu schreiben. Hierbei spielen Erwartungssicherheit, Entscheidungsfreiheit und Selbstwirksamkeit eine zentrale Rolle.
Hunde sind soziale Wesen, deren Erfahrungswelt durch ihre hochentwickelten Sinne noch viel komplexer ist als die unsere. Wir wissen heute viel mehr über ihr Erleben und über ihre kognitiven Prozesse als noch vor zehn Jahren. Die Zeiten, in denen wir sie auf „Black Boxes“ reduzieren konnten, sind endgültig vorbei. Die Art und Weise, wie wir mit ihnen leben und trainieren, muss dem Rechnung tragen.