Blog-Layout

Die Enge in meinem Kopf. Achtsamkeit in Hundebegegnungen

Biggi Junge

Das Thema Hundebegegnungen ist eines der sensibelsten Themen im Hundetraining überhaupt.“ Das sagt Tine Lange, Gründerin von Fair Dogs in Potsdam und Trainerin für Menschen mit besonders reaktiven Hunden.

Ich kann das nur bestätigen. Ich lebe seit fast zehn Jahren mit einem Hund, der, wenn er angeleint ist, andere Hunde, aber auch alles vom Kleinwagen bis zum LKW verbellt und vertreiben möchte. Viele Jahre ging ich jedem potentiellen Auslöser in großem Bogen aus dem Weg. Tat ich es nicht oder näherte sich ein Auslöser zu schnell oder unerwartet, hatte ich 35 lautstark eskalierende Kilogramm Hund an der Leine, die zu halten, nicht immer ganz einfach war.


Scham, Schuld und Verzweiflung

Mir erging es wie unzähligen, anderen Hundehalter:innen. Ich fühlte mich hilflos und oftmals verzweifelt. Ich zweifelte an mir, meinem Hund und an meiner Entscheidung, überhaupt Hunde in mein Leben geholt zu haben. Ich fühlte mich schuldig, wusste aber nicht, was ich falsch gemacht hatte. Und ich schämte mich, weil ich scheinbar die einzige Hundehalterin weit und breit war, deren Hund sich so aufführte.  

 

Heute weiß ich, dass ich nicht alleine bin. Der Grund, warum wir scheinbar nur von braven und unauffälligen Hunden umgeben sind, liegt einfach darin, dass Hundehalter:innen wie ich einfach nicht so häufig mit ihren Hunden vor die Tür gehen oder aber zu Zeiten, zu denen sonst nicht viel los ist. Sie flüchten sich in die Vermeidung.


Wendepunkt

Dass Vermeidung nicht die sinnvollste aller Strategien war, war mir damals schon klar. Aber es brauchte lange, bis ich den Mut fand, mir tatsächlich Hilfe zu suchen. Was ich fand, war, ihr ahnt es schon, die alte, autoritäre Leier: Hund deckeln, Hund blocken, Hund nur hinter mir gehen lassen, Rasselbüchsen mitnehmen, Rudelhierarchie auch zuhause einfordern … . Natürlich hat das nicht funktioniert. Und es hat auch nicht lange gedauert, bis ich mir nicht nur blöd dabei vorkam, immer vor meinem Hund etwas zu essen, sondern ich auch meinem Bauchgefühl nachgab, so nicht mit meinem Hund umgehen zu wollen.

 

Den Wendepunkt brachte nach langem Suchen und Zögern zunächst eine Ausbildung zur Hundetrainerin, in der ich viel darüber erfuhr, wie Hunde eigentlich lernen. Viel entscheidender aber war, dass sich mir dadurch eine ganz andere Welt des Umgangs mit Hunden erschloss. Ich fand Trainer:innen, die freundlich und bedürfnisorientiert mit Hunden arbeiteten, die den Gefühlen der Hunde Raum gaben und ihnen das Recht einräumten, ihre Meinung zu sagen.

 

Um die Art und Weise, wie dies mein Training mit Charlie verändert hat, soll es an dieser Stelle gar nicht gehen. Es sei genug zu erwähnen, dass Charlie riesige Fortschritte gemacht hat und ich sehr dankbar dafür bin.

 

Wenn ihr mehr über diese Art des Trainings wissen möchtet, schreibt mir einfach. Es gibt bundesweit zahlreiche Trainer:innen, die sowohl online als auch offline Angebote machen. Oder ihr seht einfach auf den Websites des ibh (internationaler Berufsverband der Hundetrainer) oder der Initiative Trainieren statt Domnieren nach.  



Spannung und Denkmuster

Wer schon mal versucht hat, über Jahre eingeschliffene Verhaltensweisen zu verändern, weiß, wie schwierig das ist. Deshalb ist Charlie auch heute noch kein Lämmchen an der Leine und auch ich laufe beim Spazierengehen noch oft in geistiger „Hab Acht“ Stellung herum. Und genau hier kommt die Achtsamkeit ins Spiel und wie sie uns dabei helfen kann, unsere Hunde in Begegnungen zu unterstützen.

 

In einem Webinar, das ich bei Tine Lange zum Thema Hundebegegnungen gemacht habe, stellte sie uns die Frage, an welchem allerersten, kleinen Anzeichen wir erkennen würden, dass unser Hund einen Auslöser entdeckt hat. Im Nachgang zu dem Webinar habe ich mich dann gefragt, was denn meine eigene, allererste, kleine Reaktion auf das Entdecken eines Auslösers ist.

 

Wenn ihr jetzt denkt, dass es das festere Greifen der Leine sei oder ein Umsehen nach Ausweichstellen, dann liegt ihr nicht ganz richtig. Es fängt noch viel früher an. Meine erste Reaktion ist ein ganz leichtes Anspannen der kleinen Muskeln, die die Augenbrauen zusammenziehen. So als ob ich etwas prüfend in den Blick nehmen würde, nur nicht ganz so stark. Das an sich wäre kein größeres Problem. Aber damit geht bei mir eine Verengung im Denken einher. Plötzlich ist die Weite im Kopf, die unser entspanntes Spazierengehen begleitet, fort. Plötzlich, verengt sich mein gedanklicher Handlungsspielraum. Plötzlich bin ich auf der Autobahn eingefahrener Verhaltensweisen und weit und breit ist keine Ausfahrt in Sicht. 


Beobachten, Erkennen, Verändern, Üben

Achtsamkeit kann uns lehren, diese kleinen Veränderungen zu erkennen und unser Verhalten früh genug anzupassen. In meinem Fall bedeutet das, dass ich stehen bleibe und mein Gesicht aktiv entspanne: ich lasse den Blick weich werden, entspanne den Nasenrücken und öffne leicht den Mund. Im weiteren Verlauf sinken dann auch die Schultern nach unten und die Entspannung setzt sich bis in die Fingerspitzen fort, sodass ich auch die Leine nicht mehr ganz so fest halte. Ich kann wieder tief und ruhig atmen. Mein Gehirn bekommt genug Sauerstoff und mein Denken weitet sich wieder. Jetzt kann ich eine Entscheidung treffen: kehre ich um, weiche ich aus, welches Signal wäre angebracht, ist der Abstand groß genug, dass Charlie es gut schafft, brauche ich eine Notfallmaßnahme … ?



Angst ist Enge. Deshalb gebe ich ihr Raum.

Unsere Anspannung in Hundebegegnungen beruht auf Erfahrung und Angst. Wir haben Angst davor, uns wieder hilflos zu fühlen, verächtlich gemacht zu werden, den Hund nicht halten zu können, dass irgendwer zu Schaden kommen könnte etc.


Angst aber verengt – das Fühlen, das Denken und das Handeln. Wir wünschen uns nichts mehr, als diese Angst loszuwerden. Das wird aber nicht dadurch passieren, dass wir sie wegschieben, bekämpfen oder vor ihr davonlaufen. So widersinnig es sich anfühlt, Angst wird dann weniger, wenn wir sie ansehen und ihr Raum geben. Damit löst sie sich nicht auf. Aber wie ein Tropfen Wasser, der im Ozean aufgeht, ohne verloren zu gehen, verdünnt sich auch die Angst in dem Raum, den wir ihr geben. Dann wird sie so klein, dass sie handhabbar wird und wir wieder handlungsfähig. Es ist wie im Hundetraining. Veränderung entsteht immer genau an der Stelle, an der wir uns weder unter- noch überfordern.

 

Was hast Du für Erfahrungen in Begegnungssituationen gemacht ? Kennst Du die Angst, von der ich spreche ? Wie gehst Du mit ihr um ? Ich freue mich auf Deine Kommentare auf meiner Website, auf Facebook oder auch bei Instagram.


Herzlichst

Deine Biggi



Quellenangaben Fotos:

Titelbild: anaterate / pixabay

Doktor Hund: Merio / pixabay

Freiheit: alfcermed / pixabay

von Biggi Junge 1. April 2024
About Anger, Depression, Self-Care and Dogs
von Biggi Junge 1. April 2024
Über Wut, Depressionen, Selbstfürsorge und Hunde
von Biggi Junge 23. März 2024
What living with an old dog entails
von Biggi Junge 23. März 2024
Was das Leben mit einem alten Hund mit sich bringt
von Biggi Junge 17. Dezember 2023
A Personal Opinion
von Biggi Junge 17. Dezember 2023
Eine Positionierung
von Biggi Junge 7. Dezember 2023
Is Compassion finite ?
von Biggi Junge 7. Dezember 2023
Ist Mitgefühl endlich ?
von Biggi Junge 13. November 2023
Jenseits der Grenzen der Mensch-Hund-Kommunikation.
von Biggi Junge 6. August 2023
Warum wir mehr Offenheit in der Hundewelt brauchen.
Weitere Beiträge
Share by: