Richtig zu handeln, ist ein Prozess
Ich habe Charlie in einem scharfen Ton zu mir hergerufen. Er kam, verzögert und geduckt beschwichtigend. Bei diesem Anblick war meine Wut sofort wieder verraucht und ich saß mit Tränen in den Augen da. Ich bin kein Engel. Ich bemühe mich wie Ihr um einen liebevollen Umgang mit Charlie, mir selbst und allen Lebewesen, die mir begegnen. Aber ich wäre kein Mensch, wenn mir nicht auch mal der Kragen platzen würde. Das ist nicht gut. Aber es passiert.
Im Achtsamkeitstraining geht es darum, mit den Dingen zu sein, wie sie sind. Sie sind nicht gut oder schlecht, sie sind einfach. Das gilt auch für Gefühle. Sie dürfen alle sein und Raum haben. Es geht aber auch darum, dass wir uns die Verbindung zwischen diesen Gefühlen und unseren konditionierten Reaktionen bewusst machen, um diese Reaktionen dann Mal für Mal mehr loslassen zu können. Das braucht Übung. Und es braucht Zeit. Ich arbeite schon lange daran, meinen Stress nicht an meinem Hund auszulassen. Es wird besser, aber das Richtige zu tun ist ein Prozess.
Herzschmerz
Was ich in dem Moment, in dem Charlie um die Ecke geschlichen kam, gefühlt habe, war komplex. Da war Scham, Schuld, Hilflosigkeit, Selbstverachtung und noch ein paar Gefühle mehr. Alles in allem war es ein sehr schmerzhafter Cocktail, den ich hinter dem Brustbein spürte. Das Gefühl war heiß und ziehend, wie ein latenter Schmerz, mit einem Element von Druck. Traditionell ist das Brustbein der Bereich, den wir mit dem emotionalen Herzen assoziieren. Und energetisch arbeitende Therapeut*innen lokalisieren in dieser Gegend eines der sieben Chakren, Energiezentren, die entlang der Wirbelsäule angeordnet sind. Ich kenne mich mit Energiearbeit nicht wirklich aus, aber irgendetwas geschah an dieser Stelle.
Weite verschafft Kühlung - die Physik der Emotionen
Ich habe an anderer Stelle schon einmal geschrieben, dass unser Gehirn den Unterschied zwischen real und imaginär nicht kennt. Deshalb funktioniert es auch, im Bereich der Emotionsregulation innere Bildern zu verwenden. Um die Spannung, die Hitze und den Schmerz in mir zu reduzieren, stellte ich mir vor, dass der Bereich des Brustbeins ganz weit und weich würde. Da war plötzlich ganz viel Raum, in dem sich die Gefühle ausbreiten konnten. Sie konnten sich verteilen wie ein Gas in einem größeren Raum. Der Druck sank, Hitze und Spannung nahmen ab.
Nebenbei bemerkt, finde ich es spannend, dass diese emotionale Erfahrung einer physikalischen Gesetzmäßigkeit folgt (das Gesetz von Gay-Lussac), der zufolge die Temperatur eines Gases mit zunehmendem Druck ansteigt und umgekehrt. Unsere Körper folgen eben natürlichen Gesetzen und unsere Gefühle folgen dem Körper.
Weite üben
Ich habe es mir zu Praxis gemacht, jedes Mal, wenn ich meinen Hund ansehe, ihm meinen Herzraum zu öffnen. Das funktioniert mal besser, mal schlechter. Aber es tut uns immer beiden gut. Insbesondere in Situationen, die für uns beide schwierig sind, wie z.B. manche Hundebegegnungen.
Meinem Hund mein Herz zu öffnen ist etwas anderes, als zu versuchen, die Situation aus seiner Perspektive zu sehen. Dabei sehe ich immer noch durch meine menschlichen Augen und benutze mein menschliches Wissen über Hunde. Wenn ich meinen Hund mit dem Herzen sehe, gehe ich von unserer emotionalen Gemeinsamkeit als fühlende Lebewesen aus. Ich denke nicht über ihn nach, sondern fühle mit ihm.
Für viele Menschen ist ein emotionales Öffnen mit Angst, z.B. vor Kontrollverlust, verbunden. Mir ging es auch lange so. Und auch heute noch reagiere ich instinktiv mit Dichtmachen, wenn mir etwas zu schnell zu viel wird. Letztendlich war es aber sehr erlösend, endlich den Deckel lüften zu können und Druck aus meinem emotionalen System zu nehmen.
Das Herz kennt keine Salamitaktik
Das Herz hat seine eigenen Gesetze. Und eines davon lautet: „Ein bisschen offen kann ich nicht. Entweder ich bin offen oder dicht. Entscheide dich !!“
Wenn Du anfängst, Dich gegenüber Deinem Hund zu öffnen, wird es Dir zunehmend schwerfallen, anderen Menschen, Dir selbst und dem Leben gegenüber unberührbar zu bleiben. Das Üben von Achtsamkeit und Mitgefühl macht Dich weicher und damit auch verletzlicher. Verletzlichkeit aber ist die wichtigste Voraussetzung für echtes Wachstum. Nur mit ihr gelingt es, uns unserer automatisierten Reaktionsmuster bewusst zu werden und aus ihnen auszusteigen. Hier kann Dein Mitgefühl mit Deinem Hund Dir helfen, diesen ersten Schritt auf Dich selbst und ein freieres Leben hin zu tun. Versuch’s !! Ihr werdet beide davon profitieren.
Alles Liebe !!
Deine Biggi
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