Gauß'sche Normalverteilung
Aber wie muss dieser Kontakt aussehen? Wieviel Kontakt brauchen unsere Hunde tatsächlich? Wie alles im Leben ist die Antwort auf diese Frage sehr individuell.
Das Bedürfnis nach Sozialkontakt (Soziabilität) bei Hunden hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören sicherlich die genetische Disposition, die sich aus der Rasse bzw. den Rassen des Hundes ergibt sowie Qualität und Quantität der frühen Erfahrungen, die der junge Hund hat sammeln können. Welche Fähigkeiten konnte der Hund entwickeln, die ihm helfen, soziale Situationen für sich zu gestalten. Welche Emotionen haben sich im hundlichen Körper in Verbindung mit Sozialkontakt eingegraben?
Kannst Du Dich an das Thema Wahrscheinlichkeitsrechnung im Mathematikunterricht erinnern? Dann kennst Du vielleicht noch die sogenannte Gauß’sche Normalverteilung. Nach einem deutschen Mathematiker benannt, besagt dieses Prinzip nichts weiter, als dass jedes Merkmal mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr häufig in einer mittleren Intensität auftritt und dass Extreme sehr viel seltener sind. Daraus ergibt sich die typische Glockenkurve, die Du in der Abbildung unten sehen kannst.
Auch Bedürfnis nach Sozialkontakt bei Hunden folgt dieser Normalverteilung. Sie beschreibt ein Kontinuum, in dessen Verlauf sich das Bedürfnis sehr graduell verändert. Was die Kurve nicht abbildet, ist, dass sich das Bedürfnis auch situativ verändert. Aber das ist ein andere Geschichte, die ich ein anderes Mal erzählen möchte.
Extreme sind normal
Das Wort extrem hat einen negativen Beigeschmack. Es suggeriert, dass die ausgeglichene Mitte gut sei und dass jede Abweichung davon unnormal oder gar krankhaft sein. Aber ohne Extreme gibt es gar keine Mitte.
Außerdem hat sich unser Verständnis von Soziabilität bei Hunden verschoben. Viele Hundehalter*innen gehen seltsamerweise davon aus, dass, um an dieser Stelle mal ein Stereotyp zu bedienen, der enthusiastische Labrador die Norm sei. Sie denken, dass ein Hund jeden anderen Hund und jeden Menschen freundlich begrüßen können müsse. Mit Verlaub, dieses Verhalten ist nicht die Norm, sie ist nur das hypersoziale, eine Extrem der Kurve. Und es ist noch nicht einmal so, dass wir diese Hunde ständig und überall sehen würden. Ja, sie existieren. Aber für die überwiegende Mehrheit der Hunde ist direkter Sozialkontakt ein Kann-Option und kein Muss.
Und dann gibt es am gegenüberliegenden Ende der Verteilung diejenigen, für die Sozialkontakt per se anstrengend ist. Diese Hunde können, aus welchen Gründen auch immer, mit der Reizintensität, die mit dem direkten Kontakt einhergeht, nicht umgehen. Sie verlieren die Fähigkeit zur Selbstregulation und können in der Situation nur noch überschießend reagieren.
Hunde können nicht nicht kommunizieren
Um es einmal ganz deutlich zu formulieren: Hunde müssen nicht miteinander spielen und sie müssen einander auch nicht direkt begrüßen. Hier projizieren wir unsere eigenen, sozialen Normen und Erwartungen auf sie. Sozialkontakt und Austausch findet bei Hunden auch in räumlicher Distanz statt, weil die hundliche Kommunikation nun mal in so großem Ausmaß über die Körpersprache läuft. Darüber hinaus haben Hunde ein deutlich ausgeprägteres Gefühl für ihren persönlichen Raum und den anderer Lebewesen als Menschen. Und sie navigieren die Etikette hundlicher Höflichkeit mit Kompetenz und Eleganz, wenn wir sie lassen, anstatt sie zwangsweise in Kontakte zu führen, auf die sie, je nach Veranlagung, entweder keine Lust haben, sie nicht wünschen oder vielleicht auch gar nicht ertragen.
Wenn Du also das nächste Mal mit Deinem Hund unterwegs bist und Euch an anderes Team begegnet, frag Deinen Hund, was er möchte. Beobachte seine Körpersprache und Du wirst ein Gefühl dafür entwickeln, ob ihm in der jeweiligen Situation ein Kontakt gut tut oder nicht. Und wenn Du unsicher bist, hol Dir professionelle Hilfe dabei.
Und wie geht es Dir?
Die Regulation von Nähe und Distanz ist ein sehr individuelle Sache. Das gilt auch für Menschen. Unsere Art zu leben, zwingt uns häufig in sehr nahen Kontakt mit anderen Menschen: in öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Einkaufen, in Kneipen. Wir betrachten das als normal und auch, wenn es sich unangenehm anfühlt, gehen wir oft über unser Bedürfnis nach Distanz und Raum hinweg. Und auch in persönlichen Beziehungen verlieren wir häufig unsere Grenzen, weil wir denken, Erwartungen erfüllen zu müssen, uns etwas von der anderen Person erhoffen oder einfach aufgrund sozialer Konventionen. Das ist verständlich und auch ich kenne solche Situationen nur zu gut.
Aber ich weiß auch, was passiert, wenn ich meine Grenzen nicht einhalte und schütze. In mir steigt die Anspannung, es entsteht ein innerer Widerstand, ich werde unleidlich, missgünstig und nachtragend und irgendwann explodiere ich unkontrolliert. Kennst Du das ?
Du bist die wichtigste Person in Deinem Leben. Du brauchst Raum. Und dieser Raum braucht klare Grenzen, nach außen aber auch nach innen. Kläre für Dich, was im Kontakt mit anderen Menschen geht und was nicht. Und dann halte diese Position. Das braucht Übung. Aber je mehr Du übst, desto besser wirst Du Dich damit fühlen und dann wird es auch viel einfacher, diese Grenzen nach außen zu kommunizieren.
Viel Erfolg dabei !!
Deine Biggi
Bilder:
mcmurryjulie auf pixabay
m_krohn auf pixabay
MOHANN auf pixabay