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"Manchmal denke ich, dass es mein Hund woanders besser hätte."

Biggi Junge


Achtsamkeit ist eine feine Sache. Wir beobachten unseren Atem, wir nehmen unsere Umwelt bewusst wahr und wir entwickeln Mitgefühl mit anderen Wesen. Das macht uns entspannter, gelassener, zufriedener. Das Leben ist schöner. Aber das ist nur der Anfang.


Interessant ist, wo es brenzlig wird


Richtig interessant und relevant wird Achtsamkeit erst da, wo es schwierig wird, sie zu praktizieren. Und das ist ziemlich häufig der Fall. Das Leben ist nämlich viel häufiger anstrengend, herausfordernd und absurd als es harmonisch, gelassen und in sich logisch ist.


Wann ist Dir das letzte Mal der Geduldsfaden gerissen ? Bei mir war das heute morgen. Wann warst Du das letzte Mal verwirrt oder frustriert ? Auch das ist bei mir nicht sehr lange her. Mit Wut, Trauer und Angst verhält es sich ähnlich. Das ist normal. Solche Gefühle und Zustände gehören zum Leben wie Wasser und Sauerstoff. Wir können nicht ohne sie leben, weil erst sie uns als Menschen wachsen und reifen lassen.


Und doch gibt es Gefühle und Gedanken, die wir am liebsten gar nicht zur Kenntnis nehmen würden, für die wir uns schämen und die wir in uns selbst verurteilen. Ein solcher ist bei mir der Gedanke, dass ich die Stressanfälligkeit und Sensibilität meines Hundes manchmal ganz schön satt habe. Dann wünsche ich mir einen Hund, der entspannt an anderen Hunden vorbeigehen kann, gelassen alleine zuhause bleibt und der seine Impulse im Griff hat. Das Leben ist an sich schon anstrengend genug, ohne dass der Hund bei jedem Pups ausrastet.




Scham, Schuld und Hilflosigkeit

 

Es fällt mir nicht leicht, diese Worte zu schreiben. Aber Authentizität beginnt bei der Ehrlichkeit mir selbst gegenüber. Und ich habe diese Gedanken und Gefühle; mal mehr, mal weniger, aber immer wieder. Ihnen folgen Scham, Schuldgefühle und Hilfslosigkeit auf dem Fuße. Ich liebe meinen Hund inniglich, aber manchmal denke ich tatsächlich, dass ich ihm so, wie ich bin, nicht gerecht werde und dass er es woanders womöglich besser hätte. Dass ich Charlie niemals hergeben würde, macht es nicht besser, weil sich die Situation dann ziemlich ausweglos anfühlt.


„Drop the Story“

Den Dingen Raum zu geben, so wie sie sind, ohne sie zu bewerten, ist eine Grundprämisse der Achtsamkeit.


Die von mir sehr geschätzte Pema Chödrön formuliert das so: „drop the story“. Was sie damit meint, ist, Gedanken und Gefühle als das wahrzunehmen, was sie sind, nämlich nackte Energie. Mit dieser Energie zu sein, bedeutet, sich nicht zu fragen, woher sie kommt, wohin sie möglicherweise führt, ob sie zulässig ist oder was andere über sie denken. Sie ist das wahrnehmbare Phänomen in meinem Körper. Mehr nicht. Die Geschichte um sie herum existiert nur in meiner Vorstellung. Diese Geschichte gilt es loszulassen. Wie geht das ?



„Setz Dich und nimm Dir einen Keks.“

 

Wer schon einmal mit einem nicht gut leinenführigen Hund unterwegs war, weiß, dass Druck immer nur Gegendruck erzeugt. Je mehr ich an der Leine ziehe, desto mehr zieht der Hund nach vorne. Genau so verhält es sich mit Emotionen und Gedanken. Je mehr ich sie festhalte, desto klebriger werden sie. Dabei geht es aber auch nicht darum, sie zu ignorieren. Auch das verleiht ihnen nur noch mehr Kraft. Vielmehr geht es darum, die eigenen Gefühle und Gedanken mitfühlend zu begleiten und ihnen Raum zu bieten, ohne sich in ihren Sog hineinziehen zu lassen. Ich nenne das die Einladung zu Tee und Keksen, bei der ich die freundliche aber auch etwas distanzierte Gastgeberin bin.



Das bestmögliche Team


Haben sich die emotionalen Wogen wieder geglättet, kann es helfen, sich bewusst zu machen, dass wir immer die bestmögliche Version unserer Selbst zum jeweiligen Zeitpunkt sind. Es gibt kein besseres Ich, das besser für meinen Hund wäre. Es gibt nur mich und ich tue das, was mir im gegenwärtigen Moment möglich ist so gut, wie es mir möglich ist. Für meinen Hund gilt dasselbe. Wir sind in jedem Moment unseres Zusammenlebens das bestmögliche Team. Und wir sind zusammen, damit wir uns zusammen weiterentwickeln. Also lasse ich die Geschichten los und lebe jeden Tag und jeden Moment mit meinem Hund, so gut es uns eben möglich ist.



Wie immer freue ich mich über Kommentare, direkt unter diesem Artikel oder auf Facebook bzw. Instagram.

 

Herzlichst

Biggi


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