Dieser Satz dürfte wohl der am wenigsten hilfreiche Ratschlag sein, den Hundetrainer*innen ihren Klient*innen jemals gegeben haben. Denn wenn die Menschen sich entspannen könnten, würden sie es sicherlich tun. Zudem ist Anspannung im Zusammenhang mit dem Verhalten des eigenen Hundes nur das Symptom. Das eigentliche Thema, das hier berührt wird, liegt viel tiefer.
Mein Hund ist nicht mein Spiegel
Wenn es zwischen Mensch und Hund kriselt, sind beide Enden der Leine betroffen. Und doch haben wir es hier mit zwei unabhängigen Individuen zu tun, die die gemeinsam erlebte Situation unterschiedlich wahrnehmen und möglicherweise völlig verschieden bewerten. Natürlich können sich Mensch und Hund in einer Spirale aus Anspannung und Stress gegenseitig hochschaukeln. Stimmungsübertragung ist in beide Richtungen zu beobachten.
Aber die Anspannung des Hundes ist primär die Anspannung des Hundes und nicht der gespiegelte Stress des Menschen. Als Menschen verfügen wir über empathische Netzwerke im Zentralen Nervensystem, die uns empfänglich machen für die emotionale Verfassung anderer Wesen, ob wir das nun wollen oder nicht. Ob solche Netzwerke auch im Hundegehirn existieren, ist nicht bekannt.
Worum geht es hier eigentlich gerade ?
Einen leicht erregbaren Hund zu haben, der auf jeden Pups mit einer Oscar-reifen Drama-Performance reagiert, ist anstrengend. Es ist schlicht unmöglich, den Hund so abzuschirmen, dass er dauerhaft unterhalb seiner Reizschwelle bleibt. Das Leben ist das Leben und auch das beste Management wird immer wieder versagen. Natürlich kann die Konditionierung von Entspannungssignalen sowie ein Training der Fokussierungsfähigkeit die Ansprechbarkeit des Hundes erhöhen und sein Nervenkostüm mittels Nahrungsergänzung, Futterumstellung, Komplementärmedizin etc. etwas stabilisiert werden. Aber auch solche Maßnahmen werden aus dem Hund keine tiefenentspannte Couch-Kartoffel machen.
Wir alle haben bestimmte Vorstellungen vom Leben mit Hunden, wenn wir sie in unser Leben holen. Mit Vorstellungen gehen Erwartungen einher. Pech nur, wenn der reale Hund dann so gar nicht in der Lage ist, unsere oft idealisierten Erwartungen zu erfüllen. Da entstehen dann schon mal Frust, Enttäuschung oder sogar Wut. Wir mögen den Hund inniglich lieben, aber manchmal schnauzen wir ihn während einer seiner Vorstellungen dann möglicherweise doch mal mit einem „warum kannst Du nicht einfach die Klappe halten und Ruhe geben?!“ an.
Was hilft, ist, sich bewusst zu machen, dass mein Hund an meiner Reaktion keine Schuld trägt. Sein Verhalten mag der Trigger sein, aber die Wut, die Enttäuschung und der Frust sind meine eigenen Gefühle. Und die entstammen einer anderen Quelle.
Mein Hund, meine Lernaufgabe ?
Wichtig ist, den Auslöser von Gefühlen nicht mit ihrer Ursache zu verwechseln. Wenn mich das Verhalten meines Hundes auf unangenehme Weise triggert, dann ist schon lange vorher etwas geschehen, das den Boden dafür bereitet hat. Erlebnisse und Erfahrungen lassen Muster in uns entstehen, die auf bestimmte Schlüsselreize warten, um sich wieder und wieder zu etablieren. Dabei kann mein Hund der Schlüsselreiz sein, er muss es aber nicht. Die Nachbarin, ein anderer Autofahrer, das Wetter oder eine Erinnerung tun es ebenso, um nur wenige Beispiele zu nennen.
Wenn mich selbst ein Ereignis emotional aus der Kurve fliegen lässt, dann versuche ich, einen Moment inne zu halten und mich zu fragen, worum es hier gerade wirklich geht. Was fühle ich jenseits des Ärgers oder der Angst ? Was spüre ich in meinem Körper ? Wo spüre ich es ? Und was für Erinnerungen oder Bilder tauchen in mir auf ?
Vor jeder möglichen Reaktion sorge ich zunächst einmal für mich selbst. Ich lasse mir die Zeit, ein paar bewusste Atemzüge zu nehmen und meine Füße auf dem Boden zu spüren. Oft führe ich eine Ultra-Kurz-Version des Body-Scans durch, einer körperorientierten Achtsamkeitsübung, die dem MBSR-Programm entstammt und stark beruhigend auf das vegetative Nervensystem wirkt. Wenn sich meine geistigen Scheuklappen dann gesenkt haben und ich wieder denken kann, schaue ich mir Charlie und sein Verhalten getrennt von meinen Emotionen an. Ich mache mir bewusst, dass er auf etwas reagiert hat, das er wahrgenommen und das ihn getriggert hat. Das hat nichts mit mir zu tun. Erst dann sorge ich für ihn, beruhige ihn und verlasse mit ihm die Situation.
Gemeinsam geht besser getrennt
Liebe, nicht nur zu Hunden, kann Grenzen verschwimmen lassen. Dann erleben wir den/die Andere/n als symbiotischen Teil von uns, ohne den wir scheinbar nicht existieren können. Grenzen aber sind wichtig für ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle, weil wir nur unser eigenes Verhalten beeinflussen können, nicht jedoch das Verhalten Anderer. Darüber hinaus ermöglicht die separate Perspektive eine viel klarere Wahrnehmung meines Hundes und meiner selbst, wovon meine Handlungsfähigkeit abhängt. Und schlussendlich ist es einfach unfair, meinen Hund darunter leiden zu lassen, wenn ich über meine eigenen, unaufgearbeiteten Themen stolpere.
Wie immer freue ich mich über Kommentare, direkt unter diesem Artikel, auf Facebook oder Instagram.
Herzlichst
Biggi
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