Ausnahmen bestätigen die Regel
Lass mich mal mit den Ausnahmen anfangen. Es gibt Situationen, in denen ein Hund in die Fremdausbildung gegeben wird. Im Bereich der Familienhunde ist das eher selten. Bei Assistenzhunden kommt es schon häufiger vor. Nämlich dann, wenn die zukünftige Halter*in zum Beispiel aufgrund ihrer Lebensumstände nicht in der Lage ist, die Ausbildung selbst durchzuführen. Dann lebt der angehende Assistenzhund zunächst bei der Trainerin, die mit ihm Grundsignale erarbeitet und generalisiert, ihn im Bereich Sozialisation und Habituation unterstützt, ihm Ruhe, Rhythmus und Abschalten können vermittelt und die Grundlagen für die späteren Assistenzleistungen legt.
Aber auch hier steht der andere Aspekt der Trainingsarbeit bereits lange bevor der Hund überhaupt bei der Trainerin einzieht im Vordergrund: die Arbeit mit der Halterin. Und dieser Teil der Arbeit begleitet das Training mit dem Hund kontinuierlich und nimmt im Laufe der Zeit einen immer größeren Stellenwert ein. In der dualen Ausbildung sowie in der assistierten Selbstausbildung nimmt die Arbeit mit dem Menschen noch wesentlich mehr Raum ein.
Wir sind nicht beim Film
Die Filmindustrie beschäftigt Tiertrainer*innen, die Tieren, u.a. Hunden, ganz bestimmte Verhaltensketten beibringen, die diese dann auf Signal vor der Kamera ausführen. Und für die involvierten Schauspieler*innen gilt das Gleiche: Signale und Verhaltensketten. Es ist eine festgelegte Choreographie, die solange geübt wird, bis sie perfekt ausgeführt werden kann.
Wir sind aber nicht beim Film, sondern im realen Leben. Und dort leben Hunde in sozialen Beziehungen mit ihren Familienmitgliedern. Es sind ihre Sozialpartner*innen, mit denen und von denen sie lernen.
Erwartungen und MIssverständnisse
Wenn ich von Hundehalter*innen kontaktiert werde, dann häufig deshalb, weil sie mit dem Hund im Alltag Probleme haben, die sie alleine nicht gelöst bekommen. Sätze wie „Ich habe schon alles probiert und Sie sind meine letzte Hoffnung“ vermitteln den Leidensdruck, mit dem die Menschen leben. Hoher Druck schürt hohe Erwartungen. Die Menschen möchten das Problem loswerden, das ihnen das Leben mit dem Hund verleidet. Und sie setzen ihre Hoffnungen in die Trainerin, die den Hund „reparieren“ soll.
Abgesehen davon, dass ich ein Lebewesen nicht reparieren kann, weil es immer Gründe für sein Verhalten hat, die es erst einmal zu erkennen gilt, liegt dieser Hoffnung eine Fehlannahme zugrunde.
Die Halter`*innen denken, dass die Trainerin den Hund wieder „ins Lot“ bringen kann. Es ist schon richtig, dass wenn wir als Trainier*innen mit dem Hund arbeiten, ihn in der Regel gut zur Veränderung seines Verhaltens motivieren können. Hunde aber sind Kontextlerner. Nur weil der Hund sein Verhalten bei mir verändert, heißt das noch lange nicht, dass er dies auch bei seiner Halterin tun wird.
Das menschliche Ende der Leine
Das Verhalten des Hundes ist nie nur das Verhalten des Hundes. Verhalten ist ein konstantes Geben und Nehmen. Wir alle sind eingewoben in ein Beziehungs- und Reizumfeld. Wir agieren und reagieren ständig, und dies zum allergrößten Teil unbewusst.
Deshalb ist die Halterin auch immer am Verhalten des Hundes beteiligt. Beispielsweise kann ein leinenreaktiver Hund sein Verhalten gar nicht verändern, wenn seine Halterin fortfährt, in gerader Linie auf andere Mensch-Hund-Teams zuzugehen. Aus seiner Sicht macht sein Verhalten Sinn und er hat keinen Grund, es zu verändern.
Als Trainerin schaue ich mir immer die gesamte Situation an. Und das beinhaltet das Verhalten und vor allem auch das Erleben am menschlichen Ende der Leine. Was geschieht im Vorfeld der Situation? Wie sehen die begleitenden Umstände aus? Wie erlebt der Mensch die Situation? Welche Gefühle und Gedanken beherrschen ihn? Welches Verhalten resultiert daraus? Wie wirkt sich dieses Verhalten auf den Hund aus? Und welche Spirale ergibt sich aus den Verhaltensbällen, die sich Mensch und Hund zuwerfen ?
Ich bin Viele
Ich sagte eingangs, dass ich keine Hundetrainerin bin. Was bin ich denn stattdessen? Ich bin Zuhörerin und Beobachterin. Als solche sehe ich, was mir der Hund sagt und ich höre, was mir die Halterin nicht sagt. Dann bin ich Vermittlerin zwischen Mensch und Hund. Ich erkläre der Halterin, warum der Hund tut, was er tut, und finde Kompromisse, die für beide akzeptabel sind. Als Wegbegleiterin laufe ich zunächst neben den beiden her, gebe gelegentlich nützliche Impulse und werde nach und nach langsamer und lasse die beiden alleine ihrer Wege gehen. Irgendwann stehe ich nur noch in der Ferne und bin wieder Beobachterin. Ich habe mich überflüssig gemacht.
Und Trainerin? Naja, es braucht einen Begriff, der all das umfasst und der für Menschen greifbar ist. Also bleibe ich bei dem Begriff der Trainerin. Aber eben nicht Hundetrainerin, sondern Trainerin für Hundehalter*innen. Vielleicht fällt mir ja im Laufe der Zeit ja noch ein griffigerer Begriff ein. Falls Du Ideen dazu hast, lass es mich wissen. Ich bin neugierig.
Alles Liebe
Deine Biggi